"THIRD" '1970

Rosa, definitiv rosa, und gelb, und rot, knatschrot, vielleicht etwas braun, ein zartes lindgrün und schwarz, oder zumindest Dunkelheit. Drehende Sterne, kaleidoskopartig tanzende Lichter, überblendende, verschwommene Bilder.

Etwa so müsste das Setting für eine Hörsitzung des Canterbury-Flaggschiffes 'Third' (1970) von SOFT MACHINE sein, damit die Psychodelik dieser Platte volle Durchschlagkraft bekommt. Aber auch ohne Lichteffekte und verbotene bewusstseinserweiternde Substanzen bleibt jedes Hören dieser DoLp ein Erlebnis.


  "Third" LP-Cover, von links: Dean, Hopper, Ratledge ,Wyatt. Fot. Jürgen D. Entshaler.

Alleine schon die Eröffnungsnummer 'Facelift' wirkt eher als 'Brainlift'. Obschon zusammengestückelt aus zwei unterschiedlichen Livenummern kenne ich kaum einen "Song", der mehr Spannung aufbaut. Insbesondere RATLEDGEs so charakteristischer bienenartig-summender oder fuzz-verzerrter Orgelsound bleibt hervorstechend; gottseidank hatte Mike RATLEDGE anfangs nicht genug Geld, sich eine echte Hammond-Orgel zu kaufen, deren fetter Sound hier vielleicht sogar fehl am Platze wäre: die billigere Lowrey-Orgel klingt hier perfekt.

Man sieht bzw. hört: die psychedelische Seite SOFT MACHINEs äußert sich nicht bloß in Spielereien mit Soundeffekten und sanftem Dahinplätschern, sondern in schrägen Kompositionen und langen, erregenden Improvisationen, die zur Entfaltung ihrer vollen Wirkung einiges an Aufmerksamkeit verlangen. Und die restlichen drei Songs des Doppelalbums (!) passen voll in dieses Bild:

"Slightly All The Time" ist eher durchkomponiert und -instrumentiert, mehr auf der swingenden als der freien Seite, aber dennoch durch ungewöhnliche Melodie-Linien und Tempo- bzw. Rhythmuswechsel aufregend und seltsam genug. Und natürlich gibt es wieder einige Improvisationen, hauptsächlich der Bläser, die ja eigentlich nur als Verstärkung des SOFT MACHINE Kerns gedacht waren. Aber deren pulsierendes Ensemble-Spiel bildet das Herz dieser Musik, insbesondere WYATTs Schlagzeug treibt und pumpt ohne Ende.


Dean, Dobson            Wyatt, Dobson, Dean, Ratledge                Hopper

Die dritte Nummer, "Moon In June", ist fast eine WYATT Solo-Nummer, beherrscht von seinem Gesang und Schlagzeug mit nur minimalen Beiträgen von RATLEDGE und HOPPER und ganz ohne die Bläser und die Violine: Angeblich trug die Weigerung der beiden, sich an dieser Nummer stärker zu beteiligen, sowie ihre generelle Abneigung gegen Stücke mit Gesang nicht unwesentlich zum Ausstieg WYATTs gut ein Album später bei. Insgesamt erinnert dieser Song noch am ehesten an die Lockerheit und die DADA-Tendenzen der ersten beiden SOFT MACHINE-Alben.

"Out-Bloody-Rageous" beschließt das insgesamt fabelhafte Album wieder mit Psychedelischem: Schier nicht enden wollendes Orgel-Gesummse und Geplinge, teilweise rückwärts geschnitten, das viele der Klangexperimente späterer Krautrock-Künstler vorweg nimmt, rahmt einen jazzigen Teil mit der obligatorischen elektrifizierenden Improvisation ein und bildet einen hypnotischen Ausklang.

Alles in Allem ist "Third" eine überaus aufregende, heute immer noch hörenswerte Platte, die übrigens schon damals, um 1970, von vielen Jazzern als einer der wenigen brauchbaren Beiträge aus dem Rock-Lager zur Vermählung von Jazz und Rock angesehen wurde! Der einzige Wermutstropfen beim Genuss dieses Meisterwerks ist die überaus lausige Klang-Qualität, die aber natürlich den musikalischen Wert keineswegs schmälert..


Die große Inspiration: Novelle von William S. Burroughs. Doppelalbum "Third".

Autor: www.rzuser.uni-heidelberg.de