K.S.: Glaubst Du, dass die politische Kraft der
Avantgarde größer ist als die der Popmusik?
R.W.: Viele Leute unternehmen enorme
Anstrengungen, um zu zeigen, in welcher Form die Kunst rebellisch ist. Aber mir
hat noch niemand schlüssig erklären können, wie das funktionieren soll. Man
macht eine Platte mit sehr vielen schrägen Klängen darauf, und diese lösen dann
bei mir den Wunsch nach Demokratie aus?
Robert Wyatt
bei den Studioaufnahmen.
K.S.: Du spielst in keiner Band mehr. Hältst
nicht viel von der Arbeit innerhalb eines Kollektivs?
R.W.: Diese Frage spielt wohl darauf an, ob das
Private politisch ist. Mich erinnert das immer an alte Diskussionen, als sich
die Leute darüber stritten, ob ein Orchester faschistisch ist. Ich schätze es,
wenn einige glauben, dass sie, wenn sie in einer Gruppe ohne Anführer spielen,
Anarchismus leben. Das ist großartig, klingt nach einer Menge Spaß. Zumindest,
solange man die anderen Leute in der Gruppe mag.
K.S.: Es geht aber doch vielmehr darum, sich
über Ideen auszutauschen.
R.W.: Meine Lieblingsmusik ist immer durch die
Zusammenarbeit verschiedener Leute entstanden. Aber das wurde nicht irgendwie
herbeigeführt, sondern das muss einfach so sein, sonst funktioniert es nicht.
Die stärkste Motivation bekam ich in der Zusammenarbeit mit anderen Leuten. Kein
Individualist könnte in einer Gesellschaft aus lauter Individualisten
existieren. Bei mir funktioniert es nicht so, wie bei Musikern normalerweise,
aufgrund meines Rollstuhls. Dieses Herumreisen, Touren und Proben an
unterschiedlichen Plätzen ist für mich sehr schwierig. Ich kenne eigentlich nur
eine Person in London, die ich besuchen kann, bei der es mir möglich ist, auch
das Bad zu benutzen. Konzerthallen und Bühnen sind absolut unmöglich für
jemanden in einem Rollstuhl.
K.S.: Ist das der Hauptgrund, warum Du nicht
mehr live spielst?
R.W.: Ja, das ist einer der Hauptgründe. Es ist
ein Alptraum, all die Sachen zu organisieren. Meine Frau hat bereits ihren
Rücken ruiniert, weil sie mich und den Rollstuhl seit 20 Jahren ständig
herumträgt. Ich müsste ein ganzes Team dafür beschäftigen, und das kann ich mir
einfach nicht leisten.
Robert Wyatt
beim Bill Nelson - Interview im Jahr 1992.
K.S.: Du sagtest einmal, dass Du einen Weg
jenseits der Popmusik suchst; hast Du ihn gefunden?
R.W.: Lenin beschrieb einmal etwas, was er die
"Zweite Kultur" nannte. Es klingt vielleicht utopisch, aber ich hoffe einfach,
dass ich die Platten machen kann, von denen ich glaube, dass sie richtig sind.
Ungeachtet der Tatsache, wie ähnlich oder unähnlich sie dem sind, was mit den
Kategorien des Mainstreams verbunden wird.
K.S.: Meinst Du, das Deine Suche nach dem, was
Du gerade als "Zweite Kultur" beschrieben hast, bereits abgeschlossen ist?
R.W.: Wenn ich versuchen würde, das jetzt zu
beantworten, wäre das zu schnell. Ich muss wirklich darüber nachdenken, und das
wird wohl einige Tage dauern.
K.S.: Wie war Deine persönliche Situation zu
der Zeit, als Du "Shleep" aufgenommen hast?
Ich habe mich sehr bemüht, so weit wie möglich
von einer Art Treibsand-Depression wegzukommen, in die ich früher mal
hineingesteuert war. Ich war fest entschlossen, das nicht noch mal geschieht.
Als es das letzte Mal passiert ist, war ich so niedergeschlagen, dass ich nichts
mehr machen konnte. Ich fühlte mich lächerlich und sinnlos. Diesmal war ich sehr
bemüht.
Poster
"The Songs of.." aus der Royal Festival Hall in England, Picture-CD von Jean
Michel Marchetti mit Wyatt's Kompositionen,
Projekt eines nie verwendeten Covers von Alfreda
Benge.
K.S.: Bist Du so auf das Thema der Platte,
Schlaf, gekommen?
R.W.: Ja, ich glaube schon. Auf den Titel -
letztlich bedeutet "Shleep" wohl "gestörter Schlaf" - kamen wir, weil viele der
Songs, die meine Frau, Alfie, und ich geschrieben haben, sich irgendwie um
Schlaf oder um den Versuch zu schlafen, oder um das, was passiert, wenn man
schläft, drehten.
K.S.: Warum enthält die neue Platte keine
direkten Verweise auf eine linke Politik, wie Du es in mit "Little Red Record",
"Stalin Wasn't Stallin" oder auch "Amber & The Amberines" noch gemacht hast?
R.W.: Die Krise der Entfremdung findet heute
auf abstrakteren Leveln statt. Der Kampf und die Anstrengungen momentan sind
wesentlich persönlicher und betreffen eher die Mikropolitik um uns herum. Ich
möchte nicht ins Detail gehen, aber wir hatten hier enorme Schwierigkeiten, uns
gegen den lokalen Druck, alles zu privatisieren, zur Wehr zu setzen. Das hat
unser Leben extrem erschwert. Das führt aber nicht immer zwangsläufig zu
irgendwelchen Songs. Solche Sachverhalte sind für mich besonders bedeutend, aber
machen für andere keinen Sinn. Niemand wüsste, wovon ich überhaupt spreche.
Autor:
Klaus Smit, Zeitschrift Jungle World Nr.43, 1997.
"Going Back A Bit: A
Little History Of Robert Wyatt" 2CD'94, "Happy Lannd" von
Ultramarine (Wyatt als Vokalist) CD'94,
The More Extendet Versions" CD'98,
"EPs" Kompilation 5CD '99.
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