"Le Marriage du Ciel et de l'Enfer" ("Die Hochzeit von Himmel und Hölle"; der Titel stammt von einem Gedicht des englischen Mystikers William Blake) entstand als Auftragskomposition für ein Ballett des französischen Tänzers und Choreographen Roland Petit. Auch dieses Album enthält wieder eine faszinierende Mischung aus Elementen moderner Klassik und des (Free) Jazz, die Atmosphäre ist durchgehend düster. Gerade auf Atmosphäre wird bei "Marriage" sehr viel Wert gelegt; hier wird nicht Virtuosität um der Virtuosität willen zelebriert, sondern die Musiker schlagen auch mal "einfachere", ruhigere Töne an, wenn dies der musikalischen Aussage dienlich ist.


Patricia Dalio, Daniel Denis, Thierry Zaboitzeff und Gerard Hourbette.

Im Gegensatz zu den früheren ART ZOYD Werken gibt es auf "Marriage" weniger hektische Sprünge in der Musik, alles wirkt insgesamt getragener. Häufig wird ein bestimmtes Thema über einen längeren Zeitraum wiederholt, was der Musik eine starke Intensität verleiht. So ist der Anfang von "Reve Artificiel" von einem monotonen Rhythmus und einzelnen Trompetenstößen geprägt, die eine immer stärkere Spannung aufbauen, bis das Stück sich in einer wilden, ekstatisch kreischenden Trompetenorgie von J.-P. SOAREZ entlädt. Die drei Teile von "IO" basieren jeweils auf gleichförmigen, sich ständig wiederholenden Strukturen, über denen mal chaotische Geräuschcollagen, mal free-jazzige Bläsereinsätze liegen.

Weiterhin zeigt sich hier eine Tendenz zur stärkeren Verwendung elektronischer Instrumente, wobei allerdings nach wie vor das kammermusikalische Instrumentarium dominiert. Lediglich in manchen Passagen treten Keyboards in den Vordergrund, so gibt es beispielsweise in "Les Ports du Futur" eine majestätische Orgelsequenz, die eigentlich mehr das mächtige Auf-und-ab-Wallen eines Tones ist, bei der man tatsächlich den Eindruck hat, als würden sich die Pforten der Zukunft öffnen. Überhaupt ist "Les Ports du Futur" mein absoluter Favorit dieses Albums, ein perfektes Tongemälde, vom Auftakt mit hektischen Klavierstakkato über die schon erwähnte Orgelsequenz bis zum dramatischen Ausklang, der von einer gleichförmigen rhythmischen Figur geprägt ist, über die sich wieder eine mächtig wallende Orgel legt.
"Le Mariage.." ist ein grandioses Werk.


André Mergenthaler und Gererd Hourbette; Aufführung von "Nosferatu". Fot: Emmanuel Valette.

"Berlin"

Ein Blick auf die Instrumentierung bei der Erstellung dieser Platte zeigt, dass ART ZOYD nicht zum Prog Mainstream gehört. Und tatsächlich könnte man die Gruppe eher als moderne Kammermusik denn als Rock bezeichnen, allerdings hier mit einer starken Prise Elektronik vermischt. Die Musik auf "Berlin" ist von einer durchgehend düsteren und bedrohlichen Atmosphäre geprägt, und in den elektronischeren Passagen, wie auf "Baboon's Blood" klingt es sogar schon mal nach Dark Wave.

Im Zentrum stehen die langen Stücke "Epithalane" und "A drum, a drum". "Epithalane" beginnt mit hektisch-nervösen Keyboards und kräftigen Celli, dann tritt noch eine furiose Orgel dazu. Immer chaotischer und intensiver wird die Musik, dann geht es plötzlich in eine langsame Klaviermelodie über. Genauer gesagt wird ständig die gleiche Tonfolge wiederholt, nur die Begleitung ändert sich in kleinen Nuancen, was der Musik eine starke Intensität verleiht. Nach einiger Zeit wird der hektische Teil fortgesetzt, der ebenfalls eine solche repetitive Struktur aufweist. Es folgt ein von mächtiger, sakral klingender Orgel und schweren Trommelschlägen dominierter Part, bevor das Stück mit sanften elektronischen Klängen und dunklen Glockenschlägen ausklingt.


Thierry Zaboitzeff. Weiter Patricia Dalio und André Mergenthaler; Aufführung von "Nosferatu". Fot: Emmanuel Valette.

"A drum, a drum" beginnt mit einer Art Stimmcollage, die streckenweise an die Ork - Gesänge von MAGMA erinnert. Abrupt bricht dieser Teil ab, eine Zeit lang hört man ein elektronischen "Flirren", dann setzt ein etwas schnellerer Rhythmus von Schnarren, Glöckchen und ähnlichem ein, das Saxophon quietscht, und eine düstere Stimme rezitiert die Eingangsszene aus Shakespeares Macbeth. In der zweiten Hälfte des Stücks wechseln sich dann elektronische Klangmuster mit jazzigen, teilweise auch free - jazzigen Passagen ab.

Die kürzeren Stücke können mit diesen beiden Epen durchaus mithalten. Das dreiteilige "Petit Messe a l'Usage des Pharmaciens" beginnt als elektronisches Klangmuster mit jazzigen Saxophoneinsprengseln ("Offertoire"), der zweite Teil "Kyrie" ist ein Klavierstück, das stark an AFTER CRYING erinnert, das abschließende "Introit" ist ein leicht kirchenmusikalisch beeinflusstes Orgelstück. Dem letzte Stück "Unsex Me Here" liegt wieder eine Passage aus Macbeth zu Grunde, deren Rezitation von kräftigen Celli begleitet wird.

Diese Platte ist neuartig und herausfordernd. Ein Meisterwerk!


"Recommended Records Sampler" 2Lp'82, "Les Espaces Inquiets" Lp'82 und "Le Mariage Du Ciel Et De l'Enfer" Lp'84 in zwei Versionen.

Autor: Achim Breiling und Jochen Rindfrey: www.babyblaue-seiten.de