"LES CYCLES DE
THANATOS" - 1979
Les
Cycles De Thanatos '79
Trotz der
zahlreichen Widerveröffentlichungen der letzten Jahre gibt es
immer noch Vinyl-Schätze, die auf CD gehoben werden müssen.
Natürlich ist "obskur" nicht immer gleichbedeutend mit "gut",
aber im Fall von VORTEX trifft dies zu,
und das französische Label "Le Triton" hat sich endlich dieses
Kleinods angenommen und beide Alben der Band als Doppel-CD mit
jeweils zwei Bonus-Tracks herausgebracht.
Original-LP "Les Cycles De
Thanatos" LP'79 und "Vortex" LP'75.
"Les Cycles De
Thanatos", das zweite (und letzte) Album der Band rund um die Gebrüder
VIVANTE, ist ein fast vergessenes Meisterwerk, immerhin
ungefähr dreitausend LPs wurden ursprünglich verkauft. Dass
man solange auf eine CD-Auflage warten musste, ist eigentlich
unverständlich: die gebotene Musik gehört zum Besten, was das
Spannungsfeld zwischen Canterbury, Zeuhl, RIO und moderner
Klassik zu bieten hat!
Die erste Nummer, "God Is Good For You, John" hat einen
leichtfüßigen, aber verspielten Canterbury-Sound mit
treibender Rhythmik, schön ausgearbeiteten, zwischen Violine
und E-Piano verschlungenen Melodie-Linien. Das ganze ist bei
aller Komplexität durchaus gefällig, jazzig und schön.
"Prolegomenes" beginnt wieder flott und Canterbury-artig,
jazzrockig, aber hier treten die Holzbläser mehr in den
Vordergrund. Später wird das Stück immer wirbelnder und
Zeuhl-Einfluss tritt zutage, schräg-gehämmerte Passagen lassen
teilweise an UNIVERS ZERO oder PRESENT denken,
leichtfüßiger
aber nicht weniger intensiv.
Session "Les Cycles De Thanatos"; Jean-Pierre
Vivante, Jean-Michel Belaich und Jacques Vivante.
Das titelgebende und zentrale Stück erinnert anfangs mehr an ein
elektrifiziertes Kammerorchester. Die durcharrangierten
Holzbläser und unterschiedliche Perkussion bestimmen lange den
Sound und sorgen - auch später im Zusammenspiel mit Bass,
Keyboards und Schlagzeug - für eine durchaus ungewöhnliche
Klangwelt.
Nach den
beginnenden verschlungenen Linen werden behutsam und langsam
von den Bläsern lang gezogene Töne intoniert. Schließlich
treten Perkussion (Becken, Gongs, Pauken, Glocken) hinzu und
sorgen für drängendere Atmosphäre. Die langen Töne werden
immer mehr gegeneinander versetzt, Schlagzeug und Bass kommen
hinzu, die Rhythmik wird greifbarer und rockähnlicher. Tempo
und Intensität werden immer weiter gesteigert, wieder
zurückgenommen, wieder gesteigert, wieder zurückgenommen,
wieder... Die Linien werden immer verschlungener, immer
komplexer und hektischer... Hier entwickelt sich tatsächlich
ein musikalischer Strudel, der dem Bandnamen alle Ehre macht!
Genaue
Informationen zu den beiden Bonus-Tracks fehlen (zumindest im
Englischsprachigen Teil des Booklets). Ich nehme
an, sie sind während der Aufnahmen zum Album entstanden,
wurden aber nicht berücksichtigt, obwohl sie beide von hoher
Qualität sind und auf der ersten LP-Seite durchaus noch Platz
gewesen wäre.
Von links: Alain Chaleard und
Christian Boissel.
"Hipopotalamus
Negrus" ist anfangs wieder recht zeuhlig geraten, mit guter
Balance zwischen Schrägem und fast funkigem Rhythmus. Hier
treten auch Synthesizer-Klänge hervor, die auf dem
eigentlichen Album kaum zu hören sind. Gegen Ende wird es
sanfter-jazzrockig und blendet aus; vielleicht war es noch
nicht fertig aufgenommen / komponiert?
"Ivanoe" ist
nach durchkomponiertem kurzen Intro insgesamt lockerer,
jam-artiger gehalten als die Stücke der eigentlichen LP, mit
etwas Sax-Gequietsche. Das Booklet
der CD-Wiederauflange enthält eine sehr ausführliche
Bandbiographie und etliche Photos. Leider - für mich, der mit Französisch eher auf Kriegsfuss stehe - ist die
französische Version der Bandbiographie mit mehr als 20 Seiten
fünfmal so lang geraten wie die englische.
Einziges
Manko des Albums ist der etwas dünne, fast zerbrechlich
wirkende Sound, der nicht wirklich besser geraten ist als der
der LP, eher im Gegenteil vielleicht sogar etwas anämischer.
Aber musikalisch haben wir hier ein echtes Goldstück
vorliegen: sehr komplexe, verspielte, ungewöhnlich
orchestrierte und intelligent komponierte Musik, die aber nie
zu sperrig und abweisend wird, sondern stets charmant und
zugänglich bleibt. Sehr empfohlen!
Autor:
Udo Gerhards, München.
Von links: Gerard Jolivet, Jacques
Guyot und Maurice Sonjon. |