Diese Musik ist übrigens
tatsächlich und definitiv eine Gruppenmusik. Bei UNIVERS ZÉRO gibt es weder
einen geistigen noch einen musikalischen Leader. Und auch wenn gewisse
Kompositionen das Werk des einen oder des andern Musikers sind, sind sie in der
Gemeinschaft ausgearbeitet worden, in dem jeder hinzufügte oder wegschnitt, was
ihm nötig erschien. Jeder Musiker ist verantwortlich für den Aufbau des Stückes,
denn hier beeinflusst der Begriff der Gruppe die Ausführung in wesentlichem
Masse.
Univers Zero in der roten Fabrik auf dem
M.A.K.-Festival in Zürich, Schweiz 1982. Von links: Alan Ward, Daniel Denis, Guy Segers,
Andy Kirk, Dirk Deschemaker.
Diese Musik ist extrem komplex, von Anfang bis zu Ende durchkomponiert,
ohne Improvisationen, die nur zu oft den Vorwand für unangebrachte Soli bilden.
Trotzdem können einige Musiker, die zwar komponieren, keine Noten schreiben.
Eine Musik, die zuerst im Kopf ist, dann aufs Papier kommt, und wenn sie schließlich
gespielt wird, voller harmonischer Gewagtheiten ist, voller ungewöhnlicher,
unkonventioneller Taktführungen, die dieser Musik ihre Eigenartigkeit
verleihen. Der Musik, die in dem Maß, wie sie gespielt und verfeinert wird,
reicher und reifer wird.
UNIVERS ZÉRO liebt die überraschenden
Kontraste: relativ heitere Stimmungen, die plötzlich zerrissen werden durch das
Kreischen der Violine oder die schweren Akkorde der Gitarre - Atmosphären, die
noch Schwefel riechen. Dies ist dem immensen Arbeitsaufwand bei den Tonführungen
und den Variationen in der Lautstärke der Instrumente zu verdanken, die
manchmal fast nicht zu hören sind und manchmal bis zum äußersten getrieben
werden. Es finden sich auch Dissonanzen, Harmonien, die BACH in seiner
mathematischen und kategorischen Besessenheit verbannt hätte, die aber Igor STRAWINSKY
(1882-1971) und
Béla BARTÓK (1881-1945) als große Vorläufer haben.
Guy Segers am Bass und Daniel Denis am
Schlagzeug.
UNIVERS ZÉRO entwickeln eine
ungedruckte Tonkunst, indem sie eine gewisse zweideutige Spielweise beibehalten
und somit Rhythmen vervielfachen und sie auf Mannigfaltige Weise übereinander
greifen lassen. Harte Musik, die Realität zeichnen und Abstraktionen
hervorrufen will. Eine wilde Musik, die sich an den deformierten Rhythmen nährt,
an den klanglichen Vielheiten der Instrumente. Chaotische Musik, bei der die Klänge
gegeneinanderprallen, ,die entgegengesetzten Tonarten, die aber von einem überwachenden
Willen bestimmt sind, bei der die Melodie auch immer ihren Platz hat. Eine
Musik, wo die Töne unaufhörlich hin und herschaukeln zwischen der Wärme eines
Fagotts oder einer Violine und den Eisbergen eines Harmoniums, dem die Noten außer
Rand und Band geraten sind, oder dem Kreischen der Violine.
All das ist UNIVERS ZÉRO, eine Welt, in der
sich die apokalyptischen Visionen eines Heronimus BOSCH treffen und
verschmelzen, ein Mittelalter, das daniederliegt, nach den Kriegen und
Epidemien, die es erlitten hatte, ein Mittelalter gekennzeichnet durch die
festlichen Töne, die weit entfernt sind, durch die Malerei der flämischen
Schule, die trostlosen Und flachen Landschaften, die sich so gut mischen mit den
Farben des Himmels. Es ist aber auch die Beschreibung unserer Welt, eines
Universums der Verrückten und der Ausschreitungen ... In dieser Welt bewegen sich
UNIVERS ZÉRO und fühlen sich darin wohl, obwohl sie gleichzeitig total drinnen
und total draußen sein können...
Alan Ward an der Geige, Andy Kirk am el. Piano
und Dirk Deschemaaker am Saxophon.
Aus der französischen Musikzeitschrift
"Atem" Nr. 13, übersetzt von Peter Wagener, Zürich.
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