GA NA PA DHA NI
Qawwali-Sänger aus Pakistan
touren durch Deutschland.
"Ya Jo, Halka Halka, Sarror Ha
"Ich bin ein wenig betrunken, und
Ya Teri Nazar Ka Qasur Ha Keh
Es ist Deiner Augen Schuld,
Sharb Pena Sikha Dia".
Daß ich begann, Alkohol zu trinken".
Mit diesem Ghazal verabschiedete
sich NUSRAT FATEH ALI KHAN (1948-1997) bei einem WOMAD-Festival von seinem
Publikum. In ihrem über dreistündigen Konzert hatten die
Sänger ein Musiker einen dramatischen, energiegeladenen
Spannungsbogen aufgebaut und nun löste sich die Anspannung des
Publikums in nicht enden wollendem Applaus und Jubel. Drei
Stunden höchster Konzentration - und das bei einem
Bühnengeschehen, das in klassischem Sinn gar nicht stattfand.
Denn die freundlich blickenden Herren aus Pakistan hatten ihre
einmal eingenommene Sitzposition kein einziges Mal verändert.
Allein NUSRAT FATEH ALI KHAN und sein Bruder FARUKH
kommentierten ihren Gesang mir knappen Handbewegungen, die in
Luft zerschnitten, bisweilen den Vortrag anhaltend, um dann
neue Einsätze zu geben.
Alle neun Männer und ihr zwölfjähriger Schüler des "PARTY"
genannten Ensembles singen. Begleitet wird NUSRAT virtuoser
Vokalvortrag von zwei (Hand-Pump) Harmonien, dem rhythmischen
Klatschen der Hände und einen Satz Tablas. Aus diesen
einfachen Quellen fügt sich eine Musik von erstaunlicher
Vielfältigkeit, ein Gewebe unendlicher rhythmischer wie
melodischer Variationen. Langsame Einführungen des Themas
werden von einem zum anderen Solosänger wie Stafetten
weitergegeben, immer kompliziertere Gebilde bauen sich auf,
die sich schließlich in ekstatischen Tempi auflösen. Rasend
schnell werden bisweilen Worte in Silben zerlegt, bis sie nur
noch als rezitierte Noten (Sa Re Ga Na Pa Dha Ni) im Raum
stehen, die an dadaistische Lautgedichte erinnern.
Obwohl der Auftritt wie improvisiert und das Zusammenspiel der
Sänger telepathisch erscheint, ist die Perfektion das Resultat
jahrzehntelanger Praxis. Das Wissen um die mir dem
Qawwali-Gesang verbundenen Ekstase-Techniken werden vom
Meister-Qawwal nur mündlich auf Brüder und Söhne
weitergegeben. Eine Tradition, die auf Gründung des
Christi-Ordens, einer Sufi-Bruderschaft, im zehnten
Jahrhundert zurückgeht. Ihre musikalischen Wurzeln liegen
wiederum in einer besonders furiosen Rezitation des Koran.
Natürlich veränderten sich im Laufe der Jahrhunderte Inhalte
und Aufführungspraxis des Qawwali. Während er im Mittelalter
vor initiierten Mitbrüdern gesungen wurde, um sie in "Hal" -
eine Art Trance - und damit näher zu Allah zu bringen, finden
wir ihn heute gar als populären Gesang im indischen Kinofilm
wieder.
Die besungene Liebe zu Gott, die
Suche nach Weisheit, verschlüsselt im Bild vom Weintrinken
("Lass die Welt nicht weiter dürsten / Der Beschaffter
göttlichen Weines kommt bald an") spielt mit der fleischlichen
Entsprechung, bis man zwischen eindeutiger Affirmation und
durchgeistigter Transzendenz kaum noch unterscheiden kann.
Trotz völlig unterschiedlicher kultureller Voraussetzungen
weist der Qawwali auffallende Ähnlichkeiten mit Jazz auf, zum
Beispiel in der Art, wie sich Melodien verzahnen, sich vom
Rhythmus lösen oder wenn NUSRAT nach Einführung und
Improvisation des Themas einen Scat-Gesang intoniert. Dieser
Mann ist ein Vulkan, der seine freudigen Lobpreisungen
förmlich von sich speit. Qawwali ist die swingendste religiöse
Musik, die es - beim Barte des Propheten - gibt. Ansonsten
kühl reflektierende Mitteleuropäer haben auf Konzerten NUSRAT
FATEH ALI KHAN häufig Schwierigkeiten, sich den magischen
Momenten zu entziehen. Aber warum sollten sie auch.
Autor: Jean Trouillet, "Die
Tageszeitung" vom 21.05.1990, Nr. 3112, Berlin. |