FREAKSHOW ARTROCK FESTIVAL - 2001

Am 22.07.01 spielte MAGMA auf dem ersten "Freakshow Artrock Festival" in Würzburg.    

Am Sonntag, dem 22. Juli, verließ ich morgens das Festivalgelände am Burg Herzberg und fuhr zum Artrock-Festival. Charly HEIDENREICH hatte das Festival bewusst auf diesen Sonntag gelegt, denn auch er hatte MAGMA aus Frankreich engagiert. Die Band kostet eine Menge und so konnte er wenigstens die Reisekosten drücken (MAGMA brauchten nur vom Hippiefestival abgeholt zu werden).


James McGaw und Emmanuel Borghi. Foto: R. K.

Die drei Akts in Würzburg waren die schwedischen ANEKDOTEN, die aus Belgien/USA stammenden PRESENT und eben MAGMA. Auf PRESENT war ich besonders gespannt. Ich kenne die CDs, hatte die Band aber noch nicht live gehört/gesehen. Sie brachten ihr neues Album mit, so dass man nach dem Akt gleich die neue Scheibe kaufen konnte. PRESENT kamen auf die Bühne und warteten darauf, dass Chef und Vordenker Roger TRIGAUX, der betrunken oder stoned war, die Orientierung fand.

Doch wie schlecht Roger auch drauf, wie krank sein mag - und er sah ausgezerrt und mehr tot als lebendig aus - als er die Arme hob, die Konzentration die Augenwinkel der Musiker einfror, da war er in seiner Materie, wie ein junger Gott. Jeder einzelne Ton, jede Wendung, jedes Break zeichnete er mit den Armen und dem zur Grimasse verzogenen Gesicht nach. Plötzlich wurde mir klar, wie tief, wie intensiv er in seiner Musik lebt. Ähnlich wie Christian VANDER, der während der MAGMA-"Songs" die Augen verdreht und sein Schlabbergesicht zum schlackern bringt.


 Die Band setzte auf Zeichen ein und ein hingebungsvoller, wilder Jazzrock brodelte los, der unglaublich expressiv war. Die düstere, sehr komplexe Musik der Belgier hat unglaublich viele Ecken und Kanten, disharmonische Wendungen, freitonale Einflüsse und "schräge", "fehlerhafte" Noten, die in einem wundervollen Arrangement zu einer Musik wachsen, wie es sie selten gibt.


Christian Vander und Philippe Bussonnet. Foto: R. K.

Charly gestand mir später, dass er kein Körpergefühl mehr gehabt hätte, er hatte die Kontrolle über sich verloren, starrte auf die Bühne und Tränen rannen ihm über das Gesicht. Mir ging es nicht viel anders, die Bläser, das Cello, Schlagzeug, Gitarre und Keyboards erzeugten unter der strengen Regie und in einigen Passagen aktivem Spiel Roger TRIGAUX´s ein so wunderbares Gefühl der Geborgenheit in der Musik, dass alles nebenher völlig wegfiel. Eine solche Dichte, einen solch kraftvollen Ausdruck und die jederzeit spürbare Lust der Musiker am Spiel, ja selbst so ein Groove in all den vertrackten, verrenkten und verzückten Takten und Rhythmen hatte ich noch nicht vorher live erlebt.

Ich habe keine Ahnung, wie lang die Band gespielt hat, welche Songs sie brachte - diese Entführung mitten hinein in instrumentale, komplexe und kompromisslose Musik braucht keine technischen Daten. Die Stimmung nach dem Konzert war aufgewühlt. Viele Leute gaben ihrem blassen Erstaunen Ausdruck und mir war klar, dass MAGMA PRESENT nicht mehr toppen konnten. Meine Hände zitterten, meine Sinne bebten. Ich hätte nach Hause gehen können.

Zum Bühnenumbau für MAGMA wurde das komplette Auditorium aus dem Saal gebeten. Die Abendluft beruhigte mich wie andere nicht wirklich. Charly meinte später, es sei gewesen, als hätten PRESENT einen Docht entzündet, der allen Sauerstoff und alle Energie aus dem Körper gesaugt hätte, bis nach dem Konzert nichts mehr übrig geblieben wäre. MAGMA hatten es schwer, da anzusetzen. Einige Erschöpfte waren schon vor PRESENT gegangen (so hat der übermüdete Rockstar Kristian Selm und auch TJ das beste verpasst - war wohl doch gut, dass ich der Nacht zuvor MAGMA verschlafen hatte...). Doch jetzt füllte sich der Saal wieder.


Von links: ........, Antoine Paganotti, Stella Vander und Isabelle Feuillebois. Foto: R.K.

 Es dauerte eine Weile, bis die Band das wartende - und von einem dämlichen Drum´n´Bass-Zeug genervte - Publikum erlöste und auf die Bühne trat. Und wie MAGMA eben sind - sie gingen gleich in die vollen. Es war das gleiche Set wie am Herzberg. An den Gesichtsausdrücken der finsteren Musiker konnte man leicht ausmachen, ob sie sich gerade verspielt oder eine Harmonie besonders gut getroffen hatten.

Interessant wurde der Akt durch einige Pannen. Der Bassmann zerriss eine Saite und der Sklave hatte das Ersatzinstrument nicht parat. Da funkten die Blitze aus den Augen von Philippe BUSSONET. Später funktionierte das Keyboard nicht mehr und die Band legte eine längere Zwangspause ein, obwohl der Fehler schnell gefunden war - Keyboarder Emmanuel BORGHI hatte versehentlich den Power-Schalter an seinem Instrument betätigt und sich den Saft selbst abgeschaltet.

 Draußen war es Nacht geworden, einige begeisterte Stimmen schwollen an, doch es gab auch ein Leute, die heimlich flüsterten: das ist MAGMA!? - das ist ja fürchterlich - ist das Rockmusik? - das klingt wie moderne Oper von Zigeunern gespielt... Doch so genau hörte ich nicht hin. MAGMA gaben ein gutes Set, aber PRESENT hatten zuvor alle Energie geraubt. Einem Teil des Publikums schien es wie mir zu gehen, die Aufnahmefähigkeit war erschöpft.

Doch nach der Pause fegte der Derwisch MAGMA los, wie nie zuvor. Genau an der Stelle im Song, wo die Pause begonnen hatte, spielte die Band weiter. Die Sänger und Musiker kamen noch einmal auf Hochtour. Nach "nur" zwei Songs war das Konzert zu Ende. Das Publikum ließ aber nicht locker und pfiff in einem ohrenbetäubenden Lärm die Band wieder raus. Christian VANDER setzte sich nicht an sein Drum-Set, sondern stellte sich hinter das Mikrophon.

Die Band spielte eine "Ballade" - besser gesagt, begleitete die hohe, vibrationsreiche Stimme VANDERS leise. Das Stück baute sich leicht auf und ebbte lang ab. Das begeisterte Publikum gab anhaltenden Applaus. Der Saal leerte sich schließlich recht schnell.


Christian Vander verzauberte das Publikum mit seiner "Ballade". Foto: RK.

M. Sturm und ich hatten Bleibe bei Charly gefunden und mussten warten - so halfen wir beim Abbau und hatten weiteren Kontakt zu den Musikern der Bands. Irgendwann war alles verpackt, aufgeladen, abtransportiert. Und früh am Morgen, als alle untergebracht waren, fielen wir in den Schlaf. Doch kurze Zeit später bereits gab es ein feudales Frühstück, während dessen sich entschied, dass ich einen Teil der MAGMA-Leute nach Frankfurt bringen musste, weil Charlys Auto kaputt war.

Nun hatte ich also für eine gute Stunde die beiden männlichen Sänger und einen Techniker in meinem Auto. Das Festival ging für mich erst zu Ende, als ich allen MAGMA-Mitstreitern am Frankfurter Flughafen die Hände geschüttelt hatte (außer Christian VANDER, der es vorzog, nicht zu fliegen, sondern mit den Instrumenten im Bandbus zu reisen). Nächstes Jahr wieder? Auf alle Fälle.

Autor: Ragazzi, VM.