ZYKLUS KOBAÏA

Die französische Band MAGMA wurde 1969 in Paris von dem Schlagzeuger Christian VANDER gegründet. Wie tief seine persönliche Identifizierung zu der von ihm erschaffenen Geschichte und Philosophie um Kobaia reichte, wurde durch seine Worte: "wenn MAGMA stirbt, sterbe auch ich" deutlich. Heute, aus einem großen zeitlichen Abstand zu den Kobaïanischen Anfangstagen sieht alles nüchterner aus. MAGMA ist zwar nicht gestorben, aber nicht mehr (unbedingt) in dem Sinne aktiv, den die mit den Alben fortlaufend weitergeführte Geschichte begonnen hat.


Truppe "Üdü Wüdü"; Federow, Top, Blasquiz, Graillier, Vander, Lockwood im Jahr 1976.

MAGMA arbeiten heute live sehr aktiv, ihre Konzerte sind erfolgreich, wenn auch vor kleinerem Publikum als in den 70er Jahren. Aber einen festen Fankreis hat die Band immer noch um sich geschart. Und im Auditorium sind heute einige grauhaarige Besucher mit leuchtenden Augen und wippendem Kopf zu entdecken, die seit dem Ursprung von der Idee und Musik MAGMAs fasziniert sind.

Die Geschichte wird zwar nicht aktiv weitergestrickt, doch die Fäden werden beieinander gehalten, indem die "alte" Musik wieder und wieder inszeniert und aufgeführt wird. Zudem fügen MAGMA einige wenige neue Songs in das Kobaïa-Konzept ein, die zwar nicht mit der grandiosen Qualität der frühen Werke gesegnet sind, aber durchaus MAGMAeskes Format haben. Der Mythos lebt, die Musik erfährt - nicht zuletzt auf CD - eine neue Begeisterung, nicht zuletzt weil der Gedanke und die Idee der Philosophie um Kobaia so modern und aktuell ist, wie nie zuvor.

MAGMA ist glühend-flüssige Gesteinsschmelze in der Erdkruste und im oberen Erdmantel. Eine gefährliche Materie, die alles in ihren Bann schlägt, was sie berührt. Durch nichts aufzuhaltende eruptive Kraft, Vulkanausbrüche und brodelnde Feuerseen voll phlegmatischer Gewalt. Glutheiße, gasdurchtränkte Silikatschmelze des Erdinnern. Früh wurde MAGMA zum Kult (mit allen positiven und negativen Nebeneffekten). Die Parallelwelt Kobaia wurde für die Musiker und Anhänger stets greifbarer und realer.


Christian Vander im November 1972.

 Die erst vage Science Fiction wurde bis zum kleinsten Detail durchkonstruiert. Eine eigene Sprache, das Kobaïanisch, das sich wie eine rückwärts gesprochene Melange aus deutscher, baltischer und slawischer Sprachen artikuliert, wurde von VANDER entwickelt. Die Worte klingen hart beginnend und abbrechend und fügen sich nicht in ein geschmeidiges Sprachgefüge, wie es lebendige Sprachen, die sich über hunderte und tausende von Jahren entwickelt haben, tun.

Die Musiker bezogen sich selbst dadurch ein, dass sie sich kobaïanische Namen zulegten. Christian VANDER wurde zu Zebëhn Straïn De Geustaah (auf "1001° Centigrades", dem zweiten Album nannte er sich Theius Bingöh). Weitere unaussprechliche Namen sind Stöht Wurdah Melekaahm, Stündehr, Stöht Ürgon, Wurd Gorgo, Klotz Zaspiaahk, Kahal Negürmüraaht, Thaud Zaia oder Sihnn Dae Weless. Doch die Sprache wollte nicht zu Kriegen aufrufen. Kobaïanisch entwickelte sich, um dem Fremdwerden von dieser Welt mit ihrer asozialen Kultur Ausdruck zu verleihen. Ob Flucht von diesem Planeten eine ideale Lösung ist, mag dahingestellt sein. Die Geschichte erzählt sich als Flucht und findet in Kobaia den Planeten, der zu wahrer Heimat wird. Schon in den siebziger Jahren hatte sich Kobaia und damit MAGMA zu einem Mythos entwickelt, der mit erschreckender Ernsthaftigkeit praktiziert wurde. Die Fiktion wurde für viele Anhänger zur gewünschten Realität, die Welt Kobaia gedanklich weiter ausgebaut.


Titelstory in der Zeitschrift "Extra" Nr. 48 vom 1974.

Die Geschichte passte gut in die Zeit und gab Fans Zutrauen und Halt. Musikalisch wurde die Story nicht gerade kommerziell umgesetzt. Plattenfirmen, die sich durch MAGMA großen Gewinn versprachen, sprangen nach finanziellen Verlusten schnell ab und MAGMA, sprich VANDER, musste neben dem Weitererschaffen der Geschichte um Kobaia neue Plattenfirmen finden. Und so, wie die siebziger Jahre vergingen, ging entmutigt erst einmal auch MAGMA. In den Achtzigern stellte Vander die Band mit neuen Musikern vor. Funk und Disco Pop mit englischen Texten beherrschte die Veröffentlichungen, während in den Konzerten der "alte", "kobaïainsche" Geist aufrecht erhalten wurde. Doch erst einmal zurück zum Beginn einer Band, die sich bis heute einen Fankreis erhalten hat, der ihr, ihrer "Zeuhl"-Musik und dem "Theusz Hamtaahk" - dem fortdauernden Moralspiel - wie Vander die MAGMA-Musik charakterisiert, andächtig und ausdauernd huldigt.


"The Last 7 Minutes" Sp'78, "Attahk" Lp'78
und MC des Labels Tomato, "Retrospektiw 1+2" 2LP'80.