UNIKUM
Eigentlich immer noch
unvergleichlich.
Die kontinuierliche Existenz dieser französischen Band -
MAGMA
steht inzwischen im 17. Jahr - zeugt vom unnachgiebigen Elan
und, wie Steve Lake meint, der Riesen-Ausdauer von Sänger,
Schlagzeuger und Pianist Christian VANDER: Der Kopf dieses
musikalischen Unikums ist einschließlich Gefolge am 25.
Oktober Live in der Manege zu bestaunen. Und ein neues Album
gibt's auch.
Klaus Blasquiz live am
02.03.1976 in der Opera de Reims.
In der Tat haben manche das
lange Beharren auf diesem Projekt schon als Größenwahn
bezeichnet, einschließlich Musiker, die schon mit ihm
gearbeitet haben. Und doch: Als die Gruppe eine Reihe von
"retrospektiven" Konzerten gab (Paris, 1980), tauchte jeder
auf und wollte dazu beitragen, der irgendwann mal in den
Dutzenden an verschiedenen MAGMA-Formationen gespielt hatte.
VANDER mag ein harter,
schwieriger und unnachgiebiger wenn auch ehrlicher -
Bandleader sein. Aber wie viel andere seiner Sorte haben denn
überhaupt irgendeine Art von Vision? Der Rest, zumindest die
allermeisten, werden kontinuierlich von den Stürmen der Mode
gebeutelt. Christian aber macht weiter und weiter, als ob es
Moden gar nicht gäbe. Für ihn wahrscheinlich wirklich nicht.
"Ich versuche es und höre mir Pop an", erzählte er kürzlich in
einem Interview, "aber jedes Mal habe ich den Eindruck, das
alles schon gehört zu haben". Und fügte an, liebend gern New
Wave spielen zu wollen, wenn das progressivere Musik-Form
wäre.
In
gewisser Weise hat er diese Wahl gar nicht. Damals, in den
60ern war er von der außergewöhnlichen, soul-searching
Intensität John COLTRANES überwältigt: dessen früher Tod war
verheerend für ihn: VANDER hatte davon geträumt, mit dem
Saxophonisten zusammenzuspielen. Seine rapiden Fortschritten
auf dem Schlagzeug hätten diesen Traum leicht Realität werden
können. COLTRANES plötzliches Ableben bestärkte ihn in dem
Gefühl, keine Zeit verlieren zu können, weil musikalische
Kreativität ein Rennen gegen die Zeit schien. Man sagte vom
späten, großen COLTRANE, dass er das Saxophon mit dem Versuch
in die Hand nahm, "nichts weniger als die absolute Wahrheit
herauszubekommen".
MAGMA
live in Bobino am 27.05.1981.
VANDER übernahm diese Haltung.
Um mit einem Song der Popband THE THE zu sprechen: Soul
mining ist es, um das sich MAGMAs Musik dreht. Die
Nutzbarmachung der fortgeschrittenen Instrumentaltechniken, um
tief in die kollektive Psyche einzutauchen und sozusagen den
genialen Geist aus der Flasche zu holen. Wie COLTRANE ist
MAGMAs Musik ein Katalysator, hypnotisch und übermächtig. Das
Publikum erstarrt entweder zu Stein oder flieht panisch in
Richtung Notausgang. Gegenüber dieser Band gleichgültig zu
bleiben, ist fast unmöglich.
Meine eigene, schon lange
bestehende Hochachtung für diese Band ist jedoch auch ein paar
Einschränkungen unterworfen. Gegenüber Außenstehenden ist es
nicht leicht, eine Franzosen-Band zu verteidigen, die in
selbst erfundener Sprache singt - eine Science Fiction -
Allegorie, die sich über ein Dutzend Konzeptalben zieht. Auf
dem Papier liest sich das Zugegebenermaßen sehr unappetitlich,
wie der schlimmste Hippie-Exzeß, so erhaben die ausgedrückten
Gefühle auch sein mögen, wenn man sie endlich enträtselt hat.
Wie bei SUN RA oder auch Gospel muss man nicht auch noch die
Philosophie kaufen, um die Musik zu schätzen - aber VANDER hat
seine Sache noch dadurch obskurer gemacht, dass er Voodoo und
schwarzmagischen Schabernack mit eingebaut hat. Aber auf einem
tieferen Level hänge ich daran wie ein junkie und bin
darauf vorbereitet, Christian seine gesamte kultivierte
Exzentrik zu vergeben, solange er Musik von derartig
unantastbarer Integrität und einschlagender Intensität macht.
Wer sonst ist schon in der Lage, John COLTRANES Tenor-Soli
Note für Note nachzusingen? Und kein Schlagzeuger sonst
besitzt diese Gefühldichte.
Autor: Steve Lake, Oktober 1986.
"Üdü Wüdü" Sp'76, "Üdü Wüdü"
Lp'76, "Inedits" Lp'77, "La Musique De Spheres"
Bootleg
2CD'77. |