Christian VANDER wird 1948 in Paris geboren. Sein Vater, Krimineller und polnisch-baltischer Zigeunerviolinist, hat wenig Einfluss auf ihn. Durch seine polnische Mutter erhält er tief greifende Anregungen (allein die Kenntnis beider, polnischer wie französischer Sprache, dürfte ein entscheidender Punkt für das spätere Kobaïanisch gewesen sein), die sich in seiner Musik niederschlagen. BARTOK, STRAWINSKY und ORFF gehören zu den musikalischen Eindrücken,  die ihm seine Mutter vermittelt.


Christian Vander und Jannik Top im Jahr 1976. Foto: Antoine de Caunes.

 Seine Mutter ist drogenabhängig, auch dieser Einfluss bleibt nicht aus, mit 15 Jahren wird er - durch Unterstützung der Mutter - an die Spritze gebracht. Regelmäßig verkehren amerikanische Jazzmusiker in VANDERs Elternhaus, die ihn in den Bann ihrer Musik schlagen. Chet BAKER schenkt dem Dreizehnjährigen das erste Schlagzeug und Elvin JONES (u.a. Larry CORYELL, Joe FARELL, INSECT TRUST, Harry LOOKOFSKY, OREGON, Wayne SHORTER) wird sein wichtigster Lehrmeister. Die größte Faszination aber übt ein anderer Jazzmusiker auf ihn aus: John COLTRANE. "Als ich COLTRANE zum ersten Mal hörte, konnte ich anschließend einfach nichts anderes mehr hören. Es gab keine andere Musik, die für mich zählte. Immer, wenn eine neue COLTRANE-Platte erschien, war es wie ein Quell neuen Lebens".

1967 stirbt John COLTRANE und für Christian VANDER bricht eine Welt zusammen. Erst als er MAGMA gründet, fängt er sich und versucht nun, COLTRANE in eigener Musik zu begegnen. Er sagte sich, dass COLTRANE nicht all diese Musik gemacht habe, damit man sich dem Tod überlässt. Die Musik war für das Leben gemacht. Also musste man weiterleben. Er war in Turin, als er am Morgen dieses einen Tages aufstand. Er hatte den Eindruck, alles in der Stadt würde leuchten. Er rief seine Verlobte in Mailand an und sagte ihr, dass er nach Paris fahren würde. "Wir haben uns schrecklich geliebt, ich reiste ab, aber ich weiß nicht, warum". MAGMA wurde für VANDER an diesem Tag der Offenbarung geboren. Er beschloss, alles aufzugeben und vor allem zu leben. Er hatte das Leben gefunden, das war wichtig.


Jannik Top gilt in Fankreisen als einer der besten Bass-Virtuose.

MAGMA hat immer für das Leben gestanden. "Als Europäer, der verschiedenen kulturellen Strömungen ausgesetzt ist, ist meine Situation gegenüber Coltrane völlig verschieden. Mein Großvater war ein Zigeuner-Geiger mit goldenen Ohrringen. Meine Musik kommt tief aus den polnischen und baltischen Wäldern, aus Voodoo-Musik, wie ich überhaupt jegliche Exorzismus- und Trance-Musik liebe. Sie ist verwurzelt in deutscher Musik, in der russischen Oper, in "Universal"-Musik und ebenso in tragischer Musik. Aus diesen Gründen ist meine Musik von derjenigen COLTRANEs verschieden, dennoch sind wir geistig verwandt".

MAGMA ist zwischen zwei Polen aufgespannt; auf der einen Seite steht eine animalische Brutalität, die der von vordergründigem Heavy Metal weit überlegen ist, ein musikalischer Anarchismus, der Gedanken an die Weltuntergang hervorruft. Auf der anderen Seite steht dem eine formale Strenge und hochgezüchtete Musikarchitektur gegenüber, die in ihrem rhythmischen Einfallsreichtum Kompositionen von BARTOK und STRAWINSKY wenig nachstehen. Der schier unüberbrückbare Gegensatz von emotional manischen Ausbrüchen und intellektuellem Kalkül bildet eine ständige extreme Spannung, die sich in gewaltigen Eruptionen freisetzt.

Die ersten beiden Alben "Magma" (1970) und "1001° Centigrades" (1971) weisen noch einen beherrschenden Jazz-Einfluss auf. Doch schon hier ist die große Intensität und manische Kreation zu hören, die MAGMA ausmacht. Und der Jazz bietet nur einen Einfluss, die Rhythmik aller Stücke ist von vornherein von Christian VANDER bestimmt, der mit großer Eindringlichkeit und Ausdruckskraft, mit ausgeglichenem Timbre und fulminanter Spieltechnik das Schlagzeug bedient. Herkömmliche Strukturen der Rockmusik scheitern im Vergleich an diesen Alben.


Magma live, in Lille 1977 und in Nancy 1979.

 Das deutlich konstruierte Spiel aller Gruppenmitglieder ist in seiner beeindruckenden Konsequenz und Geradlinigkeit mit moderner Oper, Theatermusik und Chorwerken verwandt. Diese Verwandtschaft bricht stetig auf, scheint urplötzlich Hintergrund für einen Space-Ausflug zu sein, nur um wieder den Eindruck zu vermitteln, auf einer Theaterbühne eine Massentanz-Szene mit Voodoo-Charakter zu untermalen. Hier werden aggressive wie depressive Facetten lebendig gemacht und alle möglichen Abstufungen zwischen epischer Melancholie und sexueller Hysterie zum Klingen gebracht. Die Musik brodelt ständig knapp unter dem Siedepunkt. Energische und vibrierende Musikalität wird mit jedem Ton geboren, dabei bleibt trotz aller Fülle im Klang volle Transparenz stets gewahrt, die Lust am virtuosen Können offenbar, die enorme Dynamik auf hohem Level.


"Retrospektiw 3" LP'80, "Mythes et Legendes 1970-80" LP'80, Concert Bobino" LP'81 und "Ooh, ooh Baby/Otis" SP'82.