Freuen wir uns, dass
MAGMA sich
einem kommerziellen Sound
nicht geöffnet, sondern eine intensive und überaus kraftvolle
Platte abgeliefert hatte.
VANDER: "Im Allgemeinen schreit man, weil man nicht zufrieden
ist. Das kann als Hass
interpretiert werden, aber in den Schrei mischt sich viel eher
Verzweiflung." Auch MAGMA wurde von Problemen geschüttelt, die dazu führten,
dass die Band sich
vom Kobaia-Zyklus abwandte.
Magma
Chorus 1978.
Die Musik lebte weiter, 1975
folgten mit "Ihedits" und
"Live" gleich zwei LP, die mit gleich gebliebener Dynamik und
derber rhythmischer
Schönheit die musikalische Unverletzlichkeit der Band zeigten.
VANDER: "Ich habe mal geschrieen: ja zu allem, nein dem nichts.
Ich denke, es gibt Leute,
die weiterkommen wollen, die intensiv leben wollen, und
solche, die dazu erzogen
worden sind, das nicht zu hören, was gehört werden sollte.
Alles muss gehört werden,
danach kann man vielleicht seine Wahl treffen."
"Köhntarkösz" bestand vor allen Dingen aus dem zweiteiligen
Titelsong. Die
ausgedehnten impressionistischen Piano- und Vokal-Harmonien
schwangen sich über
jeweils eine Viertelstunde. In offener und schier endloser
Stetigkeit wälzten sich über
dem furchtbaren, überaus intensiv gespielten Bass manische
Piano-Momente zu einem
Inferno, das sich über melancholische und überdrehte Passagen
in ein depressives
Koma steigert. Am Ende steht eine tiefe "Rah"-Stimme im Raum,
mächtig, kraftvoll,
beängstigend. "Ork Alarm", in fast klassischem Gewand und
seltsam ruhiger Staccato-Aktivität, ist ein weiterer Teppich für
VANDERs düsteren
Sprechgesang, oder besser
Rufgesang, denn so kann ich die herausgeschossenen Wort- und
Ton-Brocken am
ehesten deuten. Mit "Coltrane Sündia" endet das Album lyrisch,
jazzig, verliebt. Diese
wirklich sanfte Annäherung an ein coltraneskes Thema ist ein
dichtes instrumentales
Geflecht aus Interpretation und Improvisation, nah an
musikalischer Wahrhaftigkeit, fern
jeglicher Konstruktivität. Ein kurzes Stück, das
eindringlicher nicht sein könnte. Prägnant,
abstrakt, geradlinig und von einer Tiefe, die nur noch
verwundern macht.
Vander während des Konzerts im
Theatre Femine im Jahr 1994.
Die Vokalarbeit von Stella VANDER, Christian VANDER, Jannick
TOP und Klaus Blasquiz ist
dabei sehr eindringlich. Fast scheint es, als würden
verängstigte Tiere schreien, die an
einen Abgrund getrieben werden und nun den nahen Tod vor Augen
haben.
Erschütternde, verblüffend harmonische Schreie, die sich zu
einem Chor fügen, der alles
gibt und den Schwung der Musik vermehrt. VANDER: "Beim
Komponieren versuche ich,
offen, verfügbar zu sein, um die Musik in mich reinzulassen
und ich versuche, das, was
ich da höre, zu rekonstruieren. Ich sage mir nicht, na, ich
werde mal versuchen, so was
am Klavier zu komponieren. So bin ich nie vorgegangen. Ich
lasse die Musik kommen.
Gut, es gibt ab und zu so alltägliche Stücke, wenn ich am
Klavier sitze und nach etwas
suche. Aber ich ziehe die Musik vor, die zu mir kommt, und ich
bin der Empfänger..."
"MAGMA Live" schien zur letzten Hinterlassenschaft einer sich
endgültig auflösenden
Gruppe zu werden. Mit Didier LOCKWOOD an der Violine sprengte
die Gruppe noch einmal
mit immer neuen rhythmischen Verschiebungen die zugrunde
liegenden Takteinheiten. Ende
1976 gab es MAGMA so gut wie nicht mehr. Trotzdem wurde "Üdü
Wüdü" produziert, eine
Platte, die laut VANDER eher ein Extrakt aus verschiedenen
Stücken ohne richtigen
Abschluss ist. Als Neuanfang gedacht wurde sie nicht, mehr als
ein Übergangswerk. Der
Sound ist nicht zufrieden stellend, es gab Probleme beim
Abmischen und überhaupt zu
wenig Melodie. Das großartige "De Futura", ein düsteres,
achtzehnminütiges Werk,
spricht jedoch gegen VANDERs Kommentar. Von Jannik TOP
komponiert, der Bass,
Syntheziser, Keyboards und Frett-Cello spielte und sang, mit
Christian VANDER am
Schlagzeug und Klaus BLASQUIZ (Gesang), wurde ein Power Trio
intoniert, dass
keineswegs traditionell klingt. Der Donnerbass bestimmt jeden
Augenblick des Werkes.
Ein langes Syntheziser-Solo, wie von Gitarre intoniert und
eine vokale (chorale) Variation
des "Soleil d´Ork" lassen das Stück in eine Unendlichkeit
fließen, die von erhabener
Schönheit ist. Die Intensität ist um so beeindruckender, als
die Kompositionen mit totaler Konzentration gearbeitet wurden,
ohne freie Improvisation.
"Attahk" (1978) war das letzte Studioalbum im bekannten
musikalischen Geist. Doch
auch hier sind einige Songs nur skizzenhaft notiert, scheinen
Schablonen für Werke zu
sein, zu denen MAGMA aufgrund interner Schwierigkeiten nicht
fähig war. "The Last Seven Minutes" im neuen rhythmischen Gewand hatte großes Gefühl für
Funk und Soul.
"Spiritual" gab seinem Namen alle Ehre. Die angedachten
Veränderungen waren
überdeutlich. Die vokale und chorale Harmonie ist von gleicher
Schönheit und
animalischer Eleganz, nur liegt das musikalische Feld anders.
Vermehrt geben leise und
harmonische Melodien den von Piano durchtränkten Songs
Charakter, weniger
depressiv und eher fröhlich und übermütig erscheinen die
Stücke. Verspielt und wie von
Kinderhand gemalt klingen plötzlich die bisher nur als komplex
und abstrakt bekannten
VANDER-Kompositionen. Das tat der musikalischen Verführung
keinen Abbruch, aber es
verblüffte.
Musikmags mit dem Titelthema
Vander - Magma: "Jazz-Hot" Nr. 441 vom 1987, "Disc
International" Nr. 59 vom 1980, "Batteur Magazine" Nr.60 vom
1993 und ebenfalls "Batteur Magazine" Nr. 83 vom 1995.
Nicht nur die Welt hatte sich geändert, auch
Kobaïa war nicht gleich geblieben. VANDER meinte, er hätte
Kobaïa vergessen wollen und die Band
liebend gern aufgelöst,
weil er den Eindruck hatte, nur noch vor erstarrten und toten
Menschen zu spielen, die an
musikalische Hingabe nichts verschenkten, sondern nur dem Kult
huldigen wollten. Er
fühlte sich gefangen. Die siebziger Jahre gingen zu Ende,
MAGMA verschwand aus der
musikalischen Landschaft.
Viele Musiker, die nach dem Ausstieg von MAGMA eigene Bands
gründeten, führten die
Zeuhl-Musik, wie der MAGMA-Sound genannt wurde, weiter.
WEIDORJE und PAGA seien
angeführt. Andere Musiker gründeten
ESKATON oder MUSIQUE NOISE
und etliche andere
Bands, die dem musikalischen und philosophischen Geist Kobaïas
und MAGMAs
nacheiferten. MAGMA selbst gab es immer einmal wieder. Mal
nannte VANDER seine
Band auch OFFERING. Doch nie wurde die Musik wieder so
erfolgreich. Zwar gaben MAGMA
erfolgreiche Konzerte, die an die frühen Alben erinnerten,
doch die neuen Alben blieben
ohne große Resonanz. VANDER musste leben und Geld verdienen,
als Musiker konnte er
das am besten mit Plattenaufnahmen, doch die blieben hinter
den Wünschen seiner
Fans weit zurück.
"Ooh, ooh Baby/Otis" SP'82
in zweier Version, "Merci" LP'82-84, "Les
Genies Du Rock: Magma - Art Zoyd"
Kompilation CD'93, "Floe Essi/Ektah"
SP'98. |